Der Negativ-Trend der Schriftsprache
12. März 2018
Zu Miesepetrigkeit verdammt
Wenn man den Fernseher oder das Radio einschaltet, hat man manchmal das Gefühl, in einer gar „schrecklichen“ Welt zu leben. Auf allen Sendern hört man nur noch von Problemen, Ungerechtigkeit, Brutalität und korrupten Politikern. Laut einer Studie des Fachmagazins PNAS ist dies nicht nur ein subjektiver Eindruck, sondern nachweisbare Realität. Der Psychologe Rumen Iliev und sein Team von der Universität Michigan haben alle von Google erfassten Bücher, die zwischen 1800 und 2000 erschienen sind, sowie das digitale Archiv der New York Times – bis zurück ins Jahr 1851 – einmal genauer unter die Lupe genommen.
Die Wissenschaftler durchsuchten die Daten nach unterschiedlich konnotierten Begriffen. Dabei zeigte sich, dass positive Begriffe, wie z. B. „toll“, „hübsch“, „zuversichtlich“ oder „Erleichterung“ zwar deutlich stärker vertreten sind als negative Ausdrücke, sich gleichzeitig jedoch auch ein deutlicher Abwärts-Trend abzeichnet. Die Menge negativer Begriffe ist zwar derzeit noch signifikant niedriger, jedoch werden Begriffe, wie etwa „leiden“, „langweilig“, „Angst“ oder auch „Hass“, immer häufiger. Insbesondere in den USA verschiebt sich das Verhältnis zwischen positiven und negativen Ausdrücken hin zu Letzterem.
Diese sprachliche Entwicklung ist jedoch keineswegs linear, sondern vielmehr proportional zur gesellschaftlichen Entwicklung. In Dokumenten, die während des amerikanischen Sezessionskrieges, während der Weltkriege oder auch während des Vietnamkrieges verfasst wurden, fanden die Wissenschaftler besonders viele negative Ausdrücke. Dass Sprache in Krisenzeiten mehr negative Konnotationen aufweist als in Zeiten der Freude, ist grundsätzlich logisch. Wie sollte man auch sonst Leid und Verlust beschreiben, ohne zynisch zu klingen? Auffällig ist jedoch, dass sich der sprachliche Negativ-Trend nicht nur in den Zeitungen abzeichnet, sondern auch in den Büchern, die zu den besagten Zeiten veröffentlicht wurden.
Es waren allerdings nicht nur Kriege, die die Qualität der Schriftsprache beeinflussten. Iliev und sein Team entdeckten noch andere Zusammenhänge. Auch in Dokumenten aus Zeiten der Wirtschaftskrise und Arbeitslosigkeit wies die Schriftsprache signifikant mehr negative Begriffe auf. Mit dem Aufwärts-Trend in den 90er-Jahren wurde die Sprache optimistischer. Derselbe Optimismus war auch in Zeiten zu beobachten, in denen die US-Amerikaner laut Umfragen besonders „glücklich und zufrieden“ waren.
Iliev et. al. ziehen daraus die Schlussfolgerung, dass Sprache einen dynamischen Charakter aufweist, der sich parallel zu den gesellschaftlichen Höhen und Tiefen formt und verändert. Die Befunde der Psychologen sind allerdings insofern beunruhigend, als sich der Negativ-Trend als eine langfristige kontinuierliche Entwicklung abzeichnet, die sich auch unabhängig von Kriegen und Krisen fortsetzt. Sind wir etwa zu Pessimismus und Miesepetrigkeit verdammt?
Wörter, die in nicht-literarischen deutschsprachigen Texten besonders häufig vorkommen, sind: Jahr, Euro, Uhr, Prozent, Deutschland, Zeit, Tag, Mensch, Land, Million, Kind, Frau, Mann, Unternehmen, Stadt, Ende, Berlin, Woche, Fall und Seite. Zum Unwort des Jahres 2017 wurde der Begriff „Alternative Fakten“ gekürt. Entschieden hat dies eine unabhängige und ehrenamtliche Jury um die Linguistik-Professorin Nina Janich. Der Ausdruck geht auf Donald Trumps Beraterin Kellyanne Conway zurück, die damit die Behauptung bezeichnet hatte, dass Trumps Amtseinführung von so vielen Menschen zelebriert worden wäre wie kein anderes öffentliches Ereignis zuvor. Zum „Unwort des Jahres“ wird seit 1991 jedes Jahr ein Begriff ernannt, der gegen das Prinzip der Menschenwürde oder auch gegen Prinzipien der Demokratie verstößt. Dies kann dadurch bedingt sein, dass der Begriff gesellschaftliche Gruppen diskriminiert oder schlichtweg Menschen in die Irre führt. Das Unwort 2016 war „Volksverräter“ – ein Begriff, mit dem Angela Merkel und andere führende Politiker im Zusammenhang mit der Flüchtlingspolitik von rechten Demonstranten beschimpft worden waren.
Stichwörter: Ausdruck, Begriff, Miesepetrigkeit, negativ, positiv, Schriftsprache, signifikant, Sprache, sprachlich, Trend, Wort
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