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Sprachempfinden und Persönlichkeit

11. August 2017

Neue Erkenntnisse aus der Sprachpsychologie

Grammatik und Rechtschreibung genießen über alle Gesellschafts- und Bildungsschichten hinweg eher einen „schlechten“ Ruf. Ihre Allgegenwärtigkeit wird daher oftmals am liebsten bis in die tiefsten Etagen des Unterbewusstseins verdrängt. Dabei sind Grammatik und Rechtschreibung alles andere „lästig“ – die heimlichen Befehlshaber der Sprache sind nämlich hochemotional. Dies fand jetzt eine Studie aus dem Jahr 2016 heraus, die sich mit dem Zusammenhang zwischen Sprachempfinden und Persönlichkeitsmustern befasst hat. Es ist also kein Zufall, dass manche Menschen beinahe ein physiologisches Unbehagen verspüren, wenn sie in einem Text auf sprachliche Fehler stoßen, und wiederum andere aus kleinen Flüchtigkeitsfehlern auf deutliche Charakterschwächen schließen. Entscheidend ist jedoch nicht nur, was Grammatik- und Rechtschreibfehler über die Personen aussagen, die die Fehler begehen, sondern auch, was sie über die Personen verraten, denen sie auffallen.

Die Linguistinnen Julia Boland und Robin Queen von der Universität von Michigan sind der Frage auf den Grund gegangen, welche Menschen besonders empfindlich auf Fehler in der Schriftsprache reagieren. 83 Probanden hatten die Aufgabe, fiktive Kandidaten zu bewerten, die sich per E-Mail auf eine Wohnungsanzeige beworben hatten, in der ein neuer Mitbewohner gesucht wurde. Alle Bewerbungen hatten den gleichen Inhalt. Allerdings bekamen die Probanden jeweils eine unterschiedliche Textversion zu lesen. Manche Textversionen waren voll mit Tippfehlern, andere waren mit Grammatikfehlern übersehen und wiederum andere waren fehlerfrei. Als Tippfehler galten typische Flüchtigkeitsfehler, die einem beim Schreiben auf einer Tastatur unterlaufen, z. B. wurde das englische Wort „about“ absichtlich durch „abuot“ ersetzt. Grammatikfehler wurden wesentlich deutlicher inszeniert, z. B. durch ein englisches „you’re“ (du bist) statt „your“ (dein).

Die Probanden wurden gebeten, anhand der ihnen vorgelegten Textversion eine persönliche Einschätzung darüber abzugeben, ob ein Kandidat wohl einen guten Mitbewohner abgeben würde oder nicht. Das Ergebnis war eindeutig: Die Kandidaten mit den fehlerhaften Bewerbungen schnitten deutlich schlechter ab als ihre Mitbewerber. In den einzelnen Bewertungen zeigten sich jedoch deutliche Unterschiede: Manche Probanden fühlten sich kaum durch die Fehler gestört, während wiederum andere insbesondere die Grammatikfehler als unerträglich empfanden. Wiederum andere hatten Schwierigkeiten, die Tippfehler zu tolerieren.

Laut Boland und Queen waren die Einschätzungen unabhängig vom Bildungsgrad, Alter oder Geschlecht der Probanden. Auch die Zeit, die die Probanden mit dem Lesen der Bewerbungen verbrachten, war irrelevant, ebenso wie der sonstige Umgang mit elektronischen Medien. Signifikante Unterschiede ergaben sich erst durch den Faktor Persönlichkeit. Anhand eines Fragebogens wurden die Probanden nach dem klassischen Big-Five-Modell bewertet, das vor allem fünf markante Persönlichkeitsmerkmale beleuchtet: Neurotizismus (emotionale Labilität und Verletzlichkeit), Extraversion (Geselligkeit), Offenheit (Aufgeschlossenheit), Gewissenhaftigkeit (Perfektionismus) und Verträglichkeit (Rücksicht, Kooperationsfähigkeit, Empathie).

Wider Erwarten korrelierte ausgerechnet das Persönlichkeitsmerkmal Neurotizismus nicht mit dem Unbehagen über sprachliche Irrtümer, wohl aber die anderen Persönlichkeitsmerkmale. Beispielsweise zeigten introvertierte Probanden signifikant mehr Betroffenheit gegenüber allen Fehlertypen als extrovertierte Probanden. Die Tippfehler brachten vor allem gewissenhafte und weniger offene Probanden aus der Fassung; Grammatikfehler konnte sie hingegen eher verzeihen. Genau umgekehrt war es bei den wenig verträglichen, schwierigen Probanden: Die Tippfehler der Kandidaten konnten sie eher tolerieren als die Grammatikfehler.

Die Studie beweist, dass Menschen ihre Umwelt unterschiedlich wahrnehmen, und dass die Bewertung der Umwelteigenschaften unmittelbar an bestimmte Persönlichkeitsmerkmale gekoppelt ist. Da nahezu jede Form der Kooperation – sowohl privater als auch professioneller Art – über den Schriftverkehr initiiert wird, lohnt es sich durchaus, den ein oder anderen Gedanken daran zu verlieren.

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