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Endangered Language Alliance (ELA)

5. November 2017

Weltversammlung gegen das „Aussterben“ von Sprachen

In der Mitte des Raumes, in der 18. Straße von Manhattan, sind ein paar Tische zusammengeschoben, an den Wänden hängen Karten, an denen man ablesen kann, wie sich die Dialekte der Azteken über das südliche Mexiko verteilen oder auch, wo in Sumatra Minangkabau gesprochen wird. Hierbei handelt es sich nicht etwa um ein Schulklassenzimmer, sondern den Hauptsitz der Allianz für gefährdete Sprachen (engl. Endangered Language Alliance), kurz ELA. Die ELA ist ein Zusammenschluss von Linguisten und Sprachaktivisten, die das „Aussterben“ von Sprachen verhindern wollen. Ins Leben gerufen wurde die Initiative von Daniel Kaufman, Linguistik-Professor am Queens College der City University of New York und Experte für Idiome Südosasiens.

Von den weltweit 6.000 Sprachen, die die Unesco gezählt hat, droht die Hälfte, bis 2100 auszusterben. Allein in Manhattan, Queens, Brooklyn, der Bronx und Staten Island werden rund 800 verschiedene Sprachen gesprochen. Eine höhere Sprachendichte ist bisher aus keiner weiteren Region der Welt bekannt. Genau in diesem „Sprachsammelbecken“ wuchs Kaufman auf. Mit seiner Initiative möchte Kaufman in erster Linie das Selbstbewusstsein der Minderheiten und Randgesellschaften stärken. Die ELA untersucht die Idiome der jeweiligen Sprachen, erhebt Daten und wertet diese aus. Kaufmans Ansatz war ursprünglich alles andere als wissenschaftlich. Er „belauschte“ schlichtweg fremde Menschen auf der Straße – beim Einkaufen oder auch an der Bushaltestelle. Sobald er auf eine seltene Sprache stieß, lud er die Personen dazu ein, mit der ELA zusammenzuarbeiten. Heute sind diese „Methode“ nicht mehr notwendig; denn mittlerweile hat Kaufman mehr Sprachen entdeckt als die ELA überhaupt erforschen kann.

Mit seinem Vorhaben ist Kaufman zum Glück nicht alleine. ELA-Mitglied José Juárez ist einer von 250.000 Menschen, die Totonac beherrschen, eine indigene Sprache Mexikos. Nach den 23 Jahren, die Juárez schon in New York lebe, spüre er immer noch die Vorurteile und Feindseligkeiten gegenüber seiner Ethnie. Einmal pro Woche kommt er ins ELA-Büro, um mit Menschen in Kontakt zu treten, die ebenfalls Totonac sprechen. Überdies moderiert er jede Woche eine Radiosendung auf Totonac, in der er gesellschaftliche und politische Themen behandelt und gelegentlich auch als Ratgeber fungiert. In den Vereinigten Staaten, so Juárez, sei die Sprache derzeit nutzlos. Denn um ihre Kinder vor Vorurteilen und Ausgrenzung zu schützen, wird in mexikanischen Familien vorrangig Spanisch und Englisch gesprochen.

Kaufman und seine Wissenschaftler bezeichnen dieses Phänomen auch als linguistischen Suizid. Allerdings will das Team beim „Selbstmord der Sprachen“ nicht einfach zusehen. Vor diesem Hintergrund geht die Initiative der ELA weit über bloßes Forschen hinaus. Die ELA organisiert Kurse für Bretonisch, das in der Bretagne gesprochen wird, Nahuatl, das schon von den Azteken benutzt wurde, und hat bereits Bücher für den Unterricht von Tsou, ein indigenes Idiom in Taiwan, herausgegeben.

Wissenschaftler haben herausgefunden, dass Sprache in größeren Gesellschaften einen signifikant größeren Wortschatz aufweist als in kleineren Gesellschaften. Allerdings ist Sprache in größeren Gesellschaften durch den größeren Wortschatz nicht gleichzeitig auch besser entwickelt. Das Gegenteil ist der Fall: In kleineren Gesellschaften sind Menschen und ihre Sprache deutlich homogener, was dazu führt, dass auch die Sprache deutlich komplexer ist. Durch ihre Heterogenität sind größere Gesellschaften fast schon dazu gezwungen, ihre Sprache zu vereinfachen, um eine funktionierende Kommunikation zu gewährleisten. Die Komplexität von Sprache ist genau das, was Kaufman und sein Wissenschaftler-Team erhalten wollen. Damit dementiert Kaufman gleichzeitig die Annahme des Linguisten Noam Chomsky, dass es eine Universalgrammatik gebe.

ELA-Mitglied Narayan Gurung befasst sich vordergründig mit seiner Muttersprache Gurung. In regelmäßigen Abständen trifft er sich im ELA-Büro mit Lingzi Zhuang, einem Informatik- und Linguistik-Studenten der Columbia University, um ein- bis zweistündige Interviews in seiner Muttersprache zu führen. Die beiden erzählen sich von ihren Kindheitserfahrungen ebenso wie von aktuellen Geschehnissen. Das Ganze wird mit einem Aufnahmegerät oder auch mit einer Kamera festgehalten. Auf diese Weise hat die ELA bereits tausende Stunden Audio- und Videomaterial gesammelt. Die Mitglieder der ELA werten die Aufnahmen schließlich aus und erstellen Untertitel. Bei Sprachen, für die es noch nicht einmal eine Schrift gibt, stellt dies eine ganz besondere Herausforderung dar. Schwierig wird es auch bei der Übersetzung von Sprachen, für die noch nicht einmal ein Wörterbuch existiert.

Kaufman und sein Team möchten verhindern, dass lokale Sprachen weiterhin von nationalen Sprachen verdrängt und schließlich ausgelöscht werden. Er und seine indonesische Frau ziehen ihre Kinder vor diesem Hintergrund ebenfalls zweisprachig auf; sie lernen Englisch und Bahasa. Kaufman ist es wichtig, dass seine Kinder wissen, wer sie sind und woher sie stammen. Regelmäßig hält der Sprachenaktivist Vorträge über seltene Sprachen und plant überdies eine internationale Expansion des ELA-Projektes.

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