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„Mentales Handgepäck“

3. September 2017

Sprache als Teil der kulturellen Identität

Menschen mit Migrationshintergrund sollten doch möglichst auch „zu Hause“ Deutsch sprechen, fordert die CDU/CSU in einer aktuellen Kampagne. Ihrem ersten Entwurf nach sollten Zuwanderer, „dazu angehalten werden, im öffentlichen Raum und in der Familie Deutsch zu sprechen. Nur einem Land könne man loyal sein, behauptet Michael Grosse-Brömer, erster parlamentarischer Geschäftsführer der Unionsfraktion.

Aus Sicht der Deutschen Gesellschaft für Sprachwissenschaft (DGfS) ist diese Forderung schlichtweg Unsinn, nicht zuletzt vor dem Hintergrund der nachfolgenden Argumente:

  • Der erfolgreiche Erwerb einer Zweitsprache werde dadurch, dass sie häufiger angewendet werde, nicht gewährleistet.
  • Weder Kinder noch Erwachsene würden besser lernen, wenn ihnen die Verwendung einer Sprache aufgezwungen werde.
  • Aus zahlreichen Studien sei außerdem bekannt, dass die Umgebungssprache, z. B. der Sprachgebrauch anderer Kinder im Kindergarten, einen signifikant stärkeren Einfluss auf die Sprachentwicklung von Kindern habe als die Sprache der Eltern. Sprachwissenschaftler empfehlen seit Jahren, die Muttersprache von Migranten parallel zu fördern. Denn wenn Kinder ihre Muttersprache pflegen, falle ihnen auch das Erlernen der deutschen Sprache (als Zweitsprache) deutlich leichter.
  • Auch eine Überforderung von Kindern durch das Sprechen und Erlernen von zwei Sprachen gleichzeitig könne nicht nachgewiesen werden.

Die Forderung der CDU/CSU ziehe demnach mehr Nachteile als Vorteile mit sich. Kinder könnten ihre Muttersprache nicht allein durch ihre Umgebung erwerben. Entfalle diese im Elternhaus, so könne das Kind keine natürliche Bilingualität entwickeln. Fraglich sei überdies auch, wie wertvoll der Erwerb der deutschen Sprache durch Eltern sei, die diese nicht selbst nicht einwandfrei beherrschen. Darüber hinaus führe die implizite „Herabwürdigung“ der Muttersprache zu kulturellen Diskrepanzen.

Sprache kann nicht als singulärer Aspekt betrachtet werden, der einfach isoliert und – ohne jegliche Konsequenzen – manipuliert werden kann. Denn Sprache ist nicht nur ein Mittel zur Kommunikation, sondern vor allem ein Teil der eigenen kulturellen Identität. Forscher haben bereits vor Jahren ermittelt, dass Migranten sich durch die geographische Veränderung nicht automatisch auch mental und emotional von ihrem Herkunftsland lösen – im Gegenteil. Damit gehört die Muttersprache zum „mentalen Handgepäck“, das Migranten aus ihren Herkunftsländern mit in die Aufnahmegesellschaft bringen.

Von Migranten zu verlangen, ihre Muttersprache aufzugeben, ist vor diesem Hintergrund nicht nur inakzeptabel, sondern vor allem auch unmöglich. Sprache und Kultur gehen Hand in Hand, was u. a. bei den Inuiten auf Nord-Grönland deutlich wird. Entfernungen werden dort nicht in Kilometern oder Meilen gemessen, sondern in „sinik“ (dt. Schlaf). Die Inuiten orientieren sich bei der Messung und Angabe von Distanzen daran, wie oft sie schlafen müssen, um von A nach B zu kommen. Auf Grund des extremen Klimas macht es dort wenig Sinn, Distanzen in Kilometern bzw. Stunden zu messen. Beispielsweise kann es auf Grund der extremen Wetterverhältnisse durchaus vorkommen, dass man drei Tage – oder mehr – im Flughafen von Kangerlussuaq festsitzt.

Zurück nach Deutschland: Die deutsche Gesellschaft ist viel zu „bunt“ geworden, als dass man Menschen heutzutage noch in vereinfachten Kategorien, wie etwa der Sprache, betrachten könnte. Die Folgegenerationen der Migranten haben schon längst neue Kulturen entwickelt, die in keine Kategorien passen – schon gar nicht in eine sprachbezogene. Multilingualität ist keine „Störung“, die behoben werden muss, sondern eine Gabe, die nicht nur private, sondern auch berufliche Türen öffnet und Menschen auf der ganzen Welt miteinander verbindet.

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