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Vom „Buchstabenverdreher“ zum Autor

6. Juni 2017

Diagnose: Legasthenie

Aaron Weigel (geb. 1987) wuchs als eines von vier Geschwistern in Mannheim auf. Bereits in der Grundschule war seine Lese-Rechtschreib-Schwäche aufgefallen. Erst in der Übergangsphase zur weiterführenden Schule erhielt er die Diagnose „Legastheniker“.

Bis ins Erwachsenenalter hatte Aaron mit den Symptomen dieser Diagnose zu kämpfen. Heute ist er freiberuflicher Webautor und erstellt hochwertigen Webcontent für namhafte Unternehmen.

Neben seiner Tätigkeit als Webautor engagiert sich Aaron seit ca. vier Jahren über diverse Stiftungen für die Alphabetisierung von Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen in Deutschland.

Liebe Leserinnen, liebe Leser,

bis vor wenigen Jahren zählte ich noch zu den fünf Prozent, die in Deutschland unter Legasthenie leiden (vgl. Bundesverband Legasthenie und Dyskalkulie). Heute gehöre ich immer noch zu den fünf Prozent, aber ich leider nicht mehr darunter.

Für diejenigen unter Ihnen, die sich unter „Legasthenie“ nichts vorstellen können: Legasthenie ist eine genetisch bedingte Wahrnehmungsstörung im Hinblick auf Buchstaben und Wörter. Für mich sah das bis vor einigen Jahren so aus, dass ich – beim Lesen und auch beim Schreiben – ständig die Buchstaben verdreht habe. Manchmal schienen die Buchstaben im Text hin und her zu wandern. Am schlimmsten war es mit den Doppellauten, wie z. B. „au“ oder „ei“. Die konnte ich weder erkennen, noch selbst richtig schreiben. Manchmal habe ich Wörter gelesen, die gar nicht im Text standen. Um die Texte in der Schule richtig zu verstehen, musste ich sie oftmals zwei- bis dreimal lesen. Es war gruselig!

Vor allem aber war es für mich psychisch sehr belastend, insbesondere auch deswegen, weil ich es eigentlich liebte, Texte zu lesen und eigene Texte zu schreiben. Nur war ich oftmals der Einzige, der verstand, was überhaupt darin geschrieben stand. Das muss man sich einmal vorstellen! Sprache war für mich eine Kunst. Eine Kunst, die ich einfach nicht beherrschte. Meine Mitschüler hielten mich für einen Vollidioten und behandelten mich dementsprechend. Erst, als mit 11 Jahren die Diagnose „Legasthenie“ kam, ließen die Hänseleien etwas nach.

Als die Ärzte zu meiner Mutter sagten, dass Legasthenie – im Gegensatz zur Lese-Rechtschreib-Schwäche (LRS) – nicht heilbar wäre und ich mich ein Leben lang damit herumschlagen müsste, war das nicht nur für sie ein Schlag ins Gesicht. Meine Familie wollte jedoch die Hoffnung und vor allem mich nicht einfach so aufgeben. Und als ich im Alter von sieben Jahren mit der Sprachtherapie begann, war von Ersterem auch endlich wieder etwas zu erkennen.

Die Therapiestunden verliefen anders, als ich es erwartet hatte. Ich hatte fest damit gerechnet, die 60-minütigen Therapiesitzungen ausschließlich mit einem Stift in der Hand zu verbringen und mir die Finger wund zu schreiben. Als mir dann allerdings meine Therapeutin einen Softball zuwarf und dabei ein lautes und deutliches „Ei“ von sich gab, wurde ich eines Besseren belehrt. Ständig musste ich aufstehen, lustige Dinge auf irgendwelche Karten schreiben, Gegenstände mit irgendwelchen Labels versehen, Post-its verteilen und vieles mehr. Wir nutzten den gesamten Raum, um mir das Lesen und Schreiben beizubringen! Besonders spannend fand ich damals auch die Konzentrationsübungen. Diese waren notwendig, da es sich bei der Legasthenie – wie gesagt – in erster Linie um eine Wahrnehmungsstörung handelt, die mit erheblichen Konzentrationsstörungen einhergeht.

So schön die Therapiesitzungen auch waren, so schnell waren sie auch schon wieder vorbei. Die Krankenkasse weigerte sich ab meinem 18. Lebensjahr, die Kosten für meine Therapiestunden weiter zu übernehmen. Und da ich merkte, dass mir die Therapiestunden zwar halfen, ich jedoch nach wie vor auf sie angewiesen war, geriet ich in Panik. Ich war kurz davor, mich an der Uni einzuschreiben. Wie sollte ich das ohne meine Sprachtherapie schaffen?

Als ich dann auch noch drohte, in eine Depression abzustürzen, fand ich die Lösung. Ich brauchte keine Sprachtherapie, um Lesen und Schreiben zu üben. Ich brauchte niemanden, der mir die Lernstrategien erklärte; diese waren mir ja mittlerweile mehr als bekannt. Und ich brauchte auch nicht mehr diese enge Eins-zu-Eins-Betreuung, wie ich sie aus den Therapiesitzungen gewohnt war. Ich brauchte einfach jemanden, der sprachaffin war – vielleicht etwas mehr als der Durschnitt – und mich bei der Durchführung meiner Strategien anleiten und kontrollieren würde.

Und diesen „Jemand“ fand ich in einer Sprachschule. Die Sprachschule war gleich bei mir um die Ecke, sodass ich vor oder auch nach dem Unterricht kurz vorbeischauen und meine Sprachkenntnisse aufpolieren lassen konnte. Und – glauben Sie es oder nicht – so mache ich es noch heute!

Allerdings bin ich auf Inhouse-Sprachunterricht umgestiegen, weil ich das zeitlich sonst nicht hinbekommen würde. Mein Schreibtisch ist in der Regel nämlich so voll, dass ich oftmals auch die Wochenenden nutzen muss, um alles abgearbeitet zu bekommen. Ich bin Webautor und schreibe von zu Hause aus allerlei Texte für diverse Unternehmen, hauptsächlich Webcontent. Durch den Inhouse-Sprachunterricht bin ich mittlerweile sprachlich so sicher geworden, dass ich nicht einmal mehr auf meine Lektorin angewiesen bin, die meine Texte sonst immer gegengelesen hat, bevor ich sie an die Kunden übergab.

Und die Moral von der Geschichte: Es ist mühsam, aber es ist möglich, als Legastheniker ein normales und erfolgreiches Berufsleben zu führen! Es muss ja nicht gleich jeder so verrückt sein wie ich und als Texter „auf’s Ganze gehen“. Was soll ich sagen? Ich liebe nun einmal Herausforderungen.

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